Wahrung des Steuergeheimnisses gegenüber Parlamenten
(BMF-Schreiben vom 13.5.1987 - IV A 5 - S 0130 - 35/87 -)
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(BMF-Schreiben vom 13.5.1987 - IV A 5 - S 0130 - 35/87 -)
Mit der Bitte um Kenntnisnahme übersende ich Erläuterungen zur Wahrung des Steuergeheimnisses gegenüber parlamentarischen Untersuchungsausschüssen.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 17. Juli 1984 (BVerfGE 67, 100) zur Wahrung des Steuergeheimnisses gegenüber einem Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages Stellung genommen. Zur Anwendung dieses Urteils vertrete ich die folgende Auffassung, die entsprechend auch für die Wahrung des Steuergeheimnisses gegenüber Untersuchungsausschüssen der Gesetzgebungskörperschaften der Länder gilt.
Das Steuergeheimnis haben Amtsträger im Sinne von § 7 AO zu wahren. Amtsträger sind nicht nur Angehörige der Finanz- und Wirtschaftsverwaltungen, sondern z.B. auch Staatsanwälte und Richter sowie die Angehörigen der Rechnungshöfe. Zu den Amtsträgern zählen auch Minister und parlamentarische Staatssekretäre. Die Pflicht zur Wahrung des Steuergeheimnisses hat der Amtsträger auch dann noch zu beachten, wenn er aus dem Dienst ausgeschieden ist.
Mitglieder der Parlamente sind keine Amtsträger im Sinne von § 7 AO. Eine Verpflichtung zur Wahrung des Steuergeheimnisses kann sich deshalb für sie nicht unmittelbar aus § 30 AO ergeben. Auch Parlamentsmitglieder sind jedoch nach Maßgabe der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Geheimhaltung verpflichtet, falls sie ausnahmsweise Kenntnis von Tatsachen erlangen, die in den Schutzbereich des § 30 AO fallen.
Dem Steuergeheimnis unterliegen insbesondere die Tatsachen, die in einem „Verwaltungsverfahren in Steuersachen“ oder aus anderem Anlaß durch Mitteilung einer Finanzbehörde bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Akten und Unterlagen, die auf Ersuchen oder von Amts wegen durch eine das steuerliche Verwaltungsverfahren durchführende Behörde einer anderen Stelle zur Verfügung gestellt worden sind (z.B. Staatsanwaltschaft, Sozialversicherungsträger, Religionsgemeinschaften, Anerkennungsbehörden nach dem WGG usw.).
Ein Verwaltungsverfahren in Steuersachen liegt auch dann vor, wenn Behörden außerhalb der Finanzverwaltung Bescheinigungen erteilen, sofern die Erteilung der Bescheinigung nach einem Steuergesetz erforderlich ist und ausschließlich für steuerliche Zwecke erfolgt. Deshalb sind auch die in dem Bescheinigungsverfahren tätig gewordenen Amtsträger dieser Behörden an das Steuergeheimnis gebunden (BVerfGE 67, 141).
Amtsträger, z.B. im Bereich der Staatsanwaltschaft, sind auch dann an das Steuergeheimnis gebunden, wenn sie „Mitteilungen“ (Auskünfte, Unterlagen und Akten aus einem Verwaltungsverfahren in Steuersachen) von anderen Behörden als den in § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c AO genannten „Finanzbehörden“ (z.B. einer Wirtschaftsbehörde) erhalten haben. Nach dem Sinn und Zweck der o.a. Vorschrift kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber den in § 30 Abs. 1 AO enthaltenen Grundsatz der umfassenden Wahrung des Steuergeheimnisses eingrenzen wollte. Daher unterliegen diejenigen Verhältnisse des Steuerpflichtigen, die den Wirtschaftsbehörden in Bescheinigungsverfahren bekannt geworden sind, auch dann noch dem Steuergeheimnis, wenn sie später der Staatsanwaltschaft im Zuge strafrechtlicher Ermittlungen bekannt werden. Dies gilt auch dann, wenn sie in deren Akten mit anderweitig erlangten Informationen verbunden werden.
Durch § 30 AO werden nicht nur Geheimnisse im engeren Sinne, sondern alle „Verhältnisse“ des Beteiligten geschützt, d.h. grundsätzlich alles, was im Besteuerungsverfahren bekanntgeworden ist. Dabei macht es keinen Unterschied, ob diese Tatsachen für die Besteuerung relevant sind oder nicht. Das Steuergeheimnis erstreckt sich demnach auf die gesamten persönlichen, wirtschaftlichen, rechtlichen, öffentlichen und privaten Verhältnisse einer natürlichen oder juristischen Person.
Zu den „Verhältnissen“ zählen auch das Verwaltungsverfahren selbst, die Art der Beteiligung am Verwaltungsverfahren und die Maßnahmen, die vom Beteiligten getroffen wurden. So unterliegt es z.B. schon dem Steuergeheimnis, ob und bei welcher Finanzbehörde ein Beteiligter steuerlich geführt wird, ob ein Steuerfahndungsverfahren oder eine Außenprüfung stattgefunden hat. Geschützt ist auch die Information darüber, wer für einen Beteiligten im Verfahren aufgetreten ist, welche Anträge gestellt worden sind und in welcher Form das Verfahren von dem Beteiligten betrieben worden ist.
Unter den Schutz des Steuergeheimnisses fallen nur die Verhältnisse eines „anderen“, nicht aber verwaltungsinterne Vorgänge oder die Verhältnisse des Amtsträgers, der im Verwaltungsverfahren in Steuersachen tätig geworden ist. Allerdings sind Auskünfte nicht zulässig, soweit sie, und sei es auch nur mittelbar, Rückschlüsse auf Verhältnisse des Steuerpflichtigen oder einer anderen Person zulassen, die durch das Steuergeheimnis geschützt sind.
Offenbarung ist jedes Verhalten, auf Grund dessen Verhältnisse eines anderen bekannt werden oder bekannt werden können. Eine Offenbarung kann sich aus mündlichen oder schriftlichen Erklärungen, aber auch aus anderen Handlungen (Gewährung von Akteneinsicht, Kopfnicken usw.) oder Unterlassungen ergeben (z.B. Schweigen auf Fragen anstelle der Erklärung, daß weder bestätigt noch verneint werden darf usw.). Um eine Offenbarung handelt es sich auch, wenn durch die Mitteilung von einzelnen Tatsachen oder von Rechtsauffassungen im Zusammenhang mit bereits bekannten Tatsachen Schlüsse auf geschützte Verhältnisse eines Beteiligten möglich sind.
Das Steuergeheimnis erstreckt sich nicht auf Vorgänge, die bereits „offenbar“ sind. „Offenbarung“ im Sinne des § 30 AO setzt begrifflich voraus, daß das, was offenbart wird, nicht offenkundig und auch dem Empfänger der Mitteilung noch nicht bekannt ist. Offenkundig ist, was jedem Interessenten ohne größere Schwierigkeiten und Opfer zugänglich ist.
Hat ein Dritter über geschützte Verhältnisse nur eine unbestätigte Information oder eine Vermutung, so liegt in einer bestätigenden Auskunft ihm gegenüber eine Offenbarung im Sinne des § 30 AO. Solange Zweifel bestehen, ob eine Tatsache offenkundig ist, ist das Steuergeheimnis zu wahren.
Für die Offenbarung der in den Schutzbereich des § 30 AO fallenden Kenntnisse gegenüber Untersuchungsausschüssen des Bundes und der Länder gilt folgendes:
Nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO ist eine Offenbarung geschützter Verhältnisse auch dann zulässig, wenn sie der Überprüfung des Besteuerungsverfahrens in Einzelfällen dient. Die Überprüfung des Besteuerungsverfahrens im Rahmen dieser Bestimmung obliegt jedoch nicht den Parlamenten. Sie obliegt vielmehr den Rechnungshöfen, die den Parlamenten zu berichten haben.
Gesetzliche Vorschriften, die eine Offenbarung gegenüber Gesetzgebungskörperschaften des Bundes und der Länder, deren Ausschüssen und Mitgliedern ausdrücklich gestatten, sind nicht vorhanden. Bundesregierung und Landesregierungen sind nach Artikel 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden. Zu den gesetzlichen Bestimmungen, die beachtet werden müssen, gehören unter anderem die Vorschriften über das Steuergeheimnis. § 30 AO steht nicht in Widerspruch zu Art. 35 Abs. 1 GG, da sich aus dieser Verfassungsvorschrift nicht die näheren Einzelheiten über Voraussetzungen sowie Umfang und Grenzen der Rechts- und Amtshilfe ergeben; insofern ist vielmehr das einfache Recht maßgebend (BVerwGE 38, 336, 340; 50, 301, 310).
Die Tatsache, daß der Empfänger einer Information verpflichtet ist, diese Information vertraulich zu behandeln, oder sich hierzu freiwillig bereit erklärt, ist in der Abgabenordnung nicht als Voraussetzung für eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses erwähnt. Die zugesicherte vertrauliche Behandlung einer Angelegenheit durch ein Parlament oder seine Ausschüsse allein rechtfertigt deshalb die Durchbrechung des Steuergeheimnisses nicht.
Nach § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO ist eine Auskunft an Parlamente, deren Ausschüsse oder einzelne Mitglieder der Parlamente zulässig, soweit der Betroffene zustimmt. Von der Zustimmung des Betroffenen kann in der Regel ausgegangen werden, wenn er sich mit einer Petition an das Parlament wendet oder ein einzelnes Mitglied des Parlaments bittet, sich seines Anliegens anzunehmen.
„Betroffener“ ist nicht nur der Verfahrensbeteiligte selbst, sondern auch jeder „andere“, dessen Verhältnisse durch § 30 AO geschützt werden (z.B. Geschäftspartner, Geschäftsführer, Arbeitnehmer und Bevollmächtigte als Einzelpersonen, Empfänger von Zahlungen und anderen Vorteilen). Wenn nur einige von mehreren „Betroffenen“ ihre Zustimmung zur Offenbarung eines komplexen Sachverhaltes erteilen, darf nur offenbart werden, soweit dies ohne Verletzung der Rechte Dritter möglich ist. Geschützte steuerliche Verhältnisse Dritter, die ihre Zustimmung nicht erteilt haben, dürfen nicht mitgeteilt werden.
§ 30 Abs. 4 Nr. 5 AO läßt eine Auskunftserteilung bei zwingendem öffentlichen Interesse zu. Der Begriff des zwingenden öffentlichen Interesses ist in der Abgabenordnung zwar nicht abschließend geregelt; jedoch hat der Gesetzgeber durch die Aufzählung von Regelbeispielen in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO die Richtung angegeben, in der dieser Begriff auszulegen ist. Ein zwingendes öffentliches Interesse besteht danach an der Verfolgung von Verbrechen und vorsätzlichen schweren Vergehen gegen Leib und Leben oder gegen den Staat und seine Einrichtungen sowie bei schweren Wirtschaftsstraftaten; es ist außerdem gegeben, wenn eine Offenbarung steuerlicher Verhältnisse erforderlich ist zur Richtigstellung in der Öffentlichkeit verbreiteter unwahrer Tatsachen, die geeignet sind, das Vertrauen in die Verwaltung erheblich zu erschüttern. Aus dieser Aufzählung ergibt sich, daß nach dem Willen des Gesetzgebers weder das Informationsinteresse einzelner noch die allgemeinen Kontrollrechte des Parlaments ein zwingendes öffentliches Interesse im Sinne des § 30 AO begründen. Unter dem Gesichtspunkt des zwingenden öffentlichen Interesses ist deshalb eine Bekanntgabe steuerlicher Verhältnisse auch an Parlamente nur zulässig, soweit die Unterrichtung zum Schutz der in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO genannten Rechtsgüter notwendig ist.
Die vom Gesetzgeber gebildeten drei Regelbeispiele in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO machen die Wertigkeit derjenigen Rechtsgüter deutlich, die eine Offenbarung gestatten.
Für Auskünfte an das Parlament läßt sich aus den beiden ersten Regelbeispielen eine Offenbarungsbefugnis nicht ableiten.
Das Regelbeispiel in § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. c AO begründet nur ein Abwehrrecht der Verwaltung. Adressat dieser Norm ist die Verwaltung selbst. Sie hat zu entscheiden, ob und in welchem Umfang sie richtigstellen will. Sie hat dabei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und sich auf die zur Richtigstellung erforderliche Offenbarung zu beschränken.
Abgesehen von der Bedeutung der Vorschrift für Untersuchungsausschüsse (BVerfGE 67, 142) dient die Vorschrift nicht dem Aufklärungsinteresse der Öffentlichkeit oder der Parlamente. Nach ihrem Wortlaut geht es lediglich um die Richtigstellung von unwahren Tatsachenbehauptungen, nicht um die Sachaufklärung als solche. Bei der Beratung der Vorschrift im Deutschen Bundestag sind als Anwendungsbeispiele vor allem solche Fälle genannt worden, in denen der Steuerpflichtige selbst unwahre Tatsachen über seinen eigenen Steuerfall verbreitet hatte. Bereits damals ist die Gefahr gesehen worden, daß durch Angriffe Dritter gegen die Verwaltung das Steuergeheimnis des beteiligten Steuerpflichtigen gefährdet werden könne.
Aus dem unbestimmten Rechtsbegriff des „zwingenden öffentlichen Interesses“ kann auf dem Hintergrund der Wertigkeit der in den Regelbeispielen des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO genannten Rechtsgüter eine Offenbarungsbefugnis abgeleitet werden. Wenn Sachverhalte auftreten, die von ihrem Gewicht den in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO genannten Sachverhalten vergleichbar sind, ist zu prüfen, ob ihre Nichtaufklärung schwere Nachteile für das öffentliche Wohl befürchten läßt. Nur wenn dies zu bejahen ist, kann ein zwingendes öffentliches Interesse an einer Offenbarung steuerlicher Verhältnisse angenommen werden.
Ist eine Offenbarung dem Grunde nach zulässig, so hat dies nicht zur Folge, daß sämtliche Erkenntnisse, die im Besteuerungsverfahren gewonnen wurden, bekanntgegeben werden dürfen. Nach dem Einleitungssatz zu § 30 Abs. 4 AO ist die Offenbarung nur zulässig, „soweit“ sie der Erfüllung des Offenbarungszweckes dient. Mit dieser Formulierung trägt § 30 AO der Tatsache Rechnung, daß bei jeder Auskunftserteilung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel gilt. Es muß daher jeweils eine Einzelprüfung stattfinden, ob und wie weit die vorgesehene Offenbarung dem sie rechtfertigenden Zweck dient. Außerdem muß jeweils diejenige Form der Information gewählt werden (z.B. mündliche Auskunft), die die geheimhaltungsbedürftigen Verhältnisse der Beteiligten am besten schützt.
Soweit Auskünfte nur eingeschränkt zulässig sind, weil in den Akten enthaltene Angaben teilweise dem Steuergeheimnis unterliegen und teilweise nicht oder weil sich die festgestellten Offenbarungsgründe nur auf einen Teil der Angaben beziehen, ist jede Auskunft unzulässig, die teilweise eine unzulässige Offenbarung bewirkt.
Während es bei mündlichen Auskünften in der Regel möglich ist, zwischen geschützten und nicht geschützten Tatsachen zu unterscheiden, ist es häufig nicht möglich, Akten in schutzwürdige und in nicht schutzwürdige Teile zu trennen. Wenn die Trennung auch durch Unlesbarmachung oder Abtrennung schutzwürdiger Teile nicht zu bewirken ist oder zu unsinnigen Ergebnissen führt, weil nur völlig nichtssagende Aktenteile übrigbleiben, ist es zweckmäßig, von der Vorlage der Akten abzusehen und die Information auf mündliche Auskünfte zu beschränken.
Bei der Vorlage von Akten oder Aktenauszügen einer anderen Behörde bedarf es deren Einverständnisses.
In entsprechender Anwendung des § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. c AO erscheint es zweckdienlich, vor einer Offenbarung, die unter dem Gesichtspunkt des zwingenden öffentlichen Interesses erfolgt, dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Er hat dann ggf. die Möglichkeit, Rechtsbehelfe gegen die vermeintliche Rechtsverletzung einzulegen, eine einstweilige Anordnung gegen die Maßnahme zu beantragen oder durch die Zustimmung zur Offenbarung Zweifel an der Zulässigkeit auszuschließen.
Wird ein Untersuchungsausschuß zur Kontrolle der Regierung eingesetzt, schließt sein Beweiserhebungsrecht auch das Recht auf Vorlage der Akten ein. Die Regierung hat die verfassungsrechtliche Pflicht, die Ausübung des Kontrollrechts des Parlaments in geeigneter Weise zu unterstützen. Sie muß grundsätzlich dem Untersuchungsausschuß alle für seine Entscheidungen erheblichen Unterlagen zugänglich machen und hat sich dabei von dem Interesse der vollständigen Aufklärung des Sachverhalts leiten zu lassen.
Das Wohl des Bundes oder eines Landes ist im parlamentarischen Regierungssystem des Grundgesetzes dem Parlament und der Regierung gemeinsam anvertraut. Die Berufung auf das Wohl des Bundes oder eines Landes gegenüber dem Parlament kann mithin in aller Regel dann nicht in Betracht kommen, wenn beiderseits wirksame Vorkehrungen gegen das Bekanntwerden von Dienstgeheimnissen getroffen werden.
Das Recht auf Wahrung des in § 30 AO gesetzlich umschriebenen Steuergeheimnisses ist als solches kein Grundrecht. Die Geheimhaltung bestimmter steuerlicher Angaben und Verhältnisse kann indessen durch grundrechtliche Verbürgungen geboten sein.
Die Bedeutung, die das Kontrollrecht des Parlaments sowohl für die parlamentarische Demokratie als auch für das Ansehen des Staates hat, gestattet in der Regel dann keine Verkürzung des Aktenherausgabeanspruchs zugunsten des Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Eigentumsschutzes, wenn Parlament und Regierung Vorkehrungen für den Geheimschutz getroffen haben, die das ungestörte Zusammenwirken beider Verfassungsorgane auf diesem Gebiete gewährleisten, und wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist.
In einem parlamentarischen Untersuchungsverfahren steht die Entscheidung darüber, welche Auskünfte und welche Unterlagen zur Aufklärung des Sachverhalts benötigt werden, dem Untersuchungsausschuß zu. Soweit der Untersuchungsausschuß Auskünfte oder Unterlagen anfordert, die dem Steuergeheimnis unterliegende Angaben enthalten, hat die Regierung die Pflicht, auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu prüfen, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen dem Begehren des Untersuchungsausschusses zu entsprechen ist; bei dieser Entscheidung hat die Regierung das Interesse des Untersuchungsausschusses an der vollständigen Sachaufklärung zu beachten:
Ob die vorstehenden Ausführungen auch gelten, soweit ein Untersuchungsausschuß gegenüber Behörden tätig wird, die nicht seiner Kontrolle unterliegen, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 67, 129) läßt diese Frage offen. Ersucht ein Untersuchungsausschuß Behörden einer anderen, gleichgestellten und nicht seiner Kontrolle unterliegenden Körperschaft um Erteilung von Auskünften und Vorlage von Akten, so ist nach Auffassung der Finanzverwaltung das Ersuchen nach Amtshilferecht zu erledigen. Dem Ersuchen darf deshalb nur entsprochen werden, soweit die Pflicht zur Wahrung des Steuergeheimnisses es zuläßt.
Ist die Auskunft oder die Vorlage von Akten an den Untersuchungsausschuß grundsätzlich gerechtfertigt, so ist zu beachten, daß die nach § 30 AO bestehende Verpflichtung zur Geheimhaltung durch das Begehren des Untersuchungsausschusses nicht aufgehoben wird. Die Regierung hat festzulegen, welche der angeforderten Akten und Unterlagen im Untersuchungsverfahren wegen des Steuergeheimnisses geheimzuhalten sind; der Geheimhaltungsgrad wird davon abhängen, ob und ggf. in welchem Umfang durch eine mit § 30 AO unvereinbare Offenbarung zugleich Grundrechte Betroffener verletzt würden (BVerfGE 67, 138, 142).
Die Regierung kann die von ihr notwendig gehaltene Geheimhaltung durch den Untersuchungsausschuß nicht erzwingen. Der Untersuchungsausschuß ist vielmehr Herr über die Öffentlichkeit seiner Verhandlungen. Es steht in seiner Entscheidung und Verantwortung, ob er dem Schutz geheimhaltungsbedürftiger Tatsachen Vorrang vor dem Grundsatz der Öffentlichkeit einräumt. Andererseits ist die Regierung nicht verpflichtet, dem Untersuchungsausschuß geheimhaltungsbedürftige Unterlagen vorzulegen, wenn dieser nicht den von der Regierung für notwendig erachteten Geheimschutz gewährleistet.
Die Verantwortung für die Wahrung der Vertraulichkeit obliegt demnach der Regierung und dem Untersuchungsausschuß gemeinsam, wobei in jedem Stadium des Verfahrens die miteinander konkurrierenden Belange des Geheimschutzes und des Öffentlichkeitsgrundsatzes gegeneinander abzuwägen sind. Um die Vertraulichkeit zu sichern, ist in der Regel Einvernehmen über die zu treffenden Maßnahmen erforderlich. Schriftliche Unterlagen können nach den Bestimmungen der Verschlußsachenanweisung oder ähnlicher Geheimschutzvorschriften eingestuft werden. Diese Einstufung gilt grundsätzlich auch für mündliche Auskünfte über denselben Sachverhalt.
Die Regierung wird in der Regel von der Geheimhaltung der dem Untersuchungsausschuß von ihr zu gebenden Auskünfte und Unterlagen ausgehen können, wenn
Vor allem aber kann die Regierung die Geheimhaltung als gewährleistet ansehen, wenn ein Beschluß gefaßt worden ist, der alle Mitglieder des Untersuchungsausschusses, dessen Mitarbeiter und etwaige Sachverständige in strafrechtlich relevanter Form (§ 353 b Abs. 2 Nr. 1 StGB) zur Geheimhaltung der dem Steuergeheimnis unterliegenden Angaben verpflichtet.
Auskünfte dürfen nicht erteilt und Unterlagen nicht vorgelegt werden, bis die erforderlichen Maßnahmen getroffen worden sind. Dies gilt auch, wenn im Zuge der Vernehmung eines Amtsträgers als Zeuge in öffentlicher oder nicht-öffentlicher Sitzung unerwartet dem Steuergeheimnis unterliegende Bereiche berührt werden.
Die Verweigerung der Auskunft oder der Aktenherausgabe ist gegenüber dem Untersuchungsausschuß zu begründen. Die Regierung hat den Untersuchungsausschuß, ggf. in vertraulicher Sitzung, im einzelnen und umfassend über die Art der zurückgehaltenen Schriftstücke oder sonstigen Informationen, die Notwendigkeit der Geheimhaltung und den Grad der Geheimhaltungsbedürftigkeit zu unterrichten, der diesen Tatsachen ihrer Auffassung nach zukommt (BVerfGE 67, 138). Nach Möglichkeit sollen andere Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts angeboten werden, die das Steuergeheimnis nicht verletzen.
Hat der Untersuchungsausschuß Grund zu der Annahme, daß zurückgehaltene Informationen mit dem ihm erteilten Kontrollauftrag zu tun haben und besteht er deshalb auf Herausgabe der Akten, so hat die Regierung die vom Untersuchungsausschuß genannten Gründen zu erwägen und, sollten sie ihre Auffassung nicht erschüttern können, zu prüfen, welche Wege beschritten werden können, um den Untersuchungsausschuß davon zu überzeugen, daß seine Annahme nicht zutrifft. So kann als eine der möglichen Verfahrensweisen dem Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses und seinem Stellvertreter Akteneinsicht gewährt werden.
Für eine Aussage vor einem Untersuchungsausschuß bedarf ein Amtsträger einer Aussagegenehmigung. Die Aussage ist, auch wenn im übrigen keiner der genannten Gründe entgegensteht, nur im Rahmen der Aussagegenehmigung zulässig. Geht eine Frage über diesen Rahmen hinaus, hat der Amtsträger sich um eine Erweiterung der Aussagegenehmigung zu bemühen. Wird sie versagt (z.B. weil im Staatsinteresse eine Sperr-Erklärung abgegeben werden soll), darf er selbst dann nicht aussagen, wenn der Untersuchungsausschuß die Verweigerung der Aussage für unbegründet hält.
Mit der Aussagegenehmigung hat die jeweils zuständige oberste Dienstbehörde auch darüber zu befinden, ob der einzelne Amtsträger dem Steuergeheimnis unterliegende Verhältnisse eines anderen gegenüber dem Untersuchungsausschuß offenbaren darf. Die oberste Dienstbehörde wird eine Offenbarungsbefugnis bejahen, wenn die allgemeinen Voraussetzungen der Tz. 2.2.2 erfüllt sind und der Untersuchungsausschuß wirksame Vorkehrungen gegen das Bekanntwerden von dem Steuergeheimnis unterliegenden Tatsachen getroffen hat (vgl. Tz. 2.2.3). Der Amtsträger ist allerdings an die Auffassung der obersten Dienstbehörde nicht gebunden, wenn er selbst eine Offenbarung für unzulässig hält (vgl. § 38 Abs. 2 BRRG).
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